Viele Spieler sind über den Sommer wieder eingepreist und nicht wenige auf neue Clubs verteilt worden. Die Vorbereitungszeit und die damit einhergehende Brautschau ist nun zu Ende, es kann also wieder losgehen.

Viele Spieler sind über den Sommer wieder eingepreist und nicht wenige auf neue Clubs verteilt worden. Die Vorbereitungszeit und die damit einhergehende Brautschau ist nun zu Ende, es kann also wieder losgehen.

Wie bei allen Vereinen, so ist man auch bei RW Erfurt auf die Qualität des neuen Kaders gespannt. Von brennendem Interesse für alle Zuschauer ist: Wer von den Neuen ist Verstärkung, wer nur Ergänzungsspieler, wer gar Fehlgriff? Und: Kann man mit diesem neuen Team auch vorne mitspielen? Der Fußball weckt eben immer Erwartungen und Begehrlichkeiten. Das ist überall gleich. Aber man sollte auch wissen: Erwartungen entstehen und vergehen gerade im Fußball in besonders rascher Sukzession. Die kühnsten Träume werden oft sehr schnell mit eiskalter Realität verdünnt. Das konnten wir in den letzten beiden Spielzeiten besonders anschaulich verfolgen, als unsere Ambitionen, immer wenn es wichtig wurde, wie ein Souffle in sich zusammenfielen. Das Bewusstsein passte nicht zum vorhandenen Vermögen, weshalb die Sache zweimal in der Liga und dreimal im Landespokal scheiterte. Deshalb mahne ich zur Vorsicht im Umgang mit überzogenen Vorstellungen und Hoffnungen!

Fest steht derzeit nur eines: Rot-Weiß Erfurt geht nach Jenas Abstieg erstmals seit Jahren als die unangefochtene und alleinige Nr.1 des Freistaates Thüringen in eine Spielserie. Auf dieses "Alleinstellungsmerkmal" können alle stolz sein. Gleichzeitig ist es Verpflichtung sich nicht auszuruhen, denn die "Nr.1" im Lande Thüringen zu sein ist zwar eine schöne Sache, aber der von provinzieller Verengung nunmehr befreite Blick mag sich bitteschön nun auch rasch an höheren bundesweiten Maßstäben und Zielen ausrichten.

Das ist im Nachwuchsbereich in kürzester Zeit schon mit sichtbarem Erfolg geschehen. Die U17 schaffte den direkten Wiederaufstieg in die B-Junioren Bundesliga. Die U19 schloss mit dem 6.Platz als Aufsteiger in der A-Junioren Bundesliga ab und wurde zudem Pokalsieger, ist damit auch für den DFB Pokal qualifiziert. Und die U23 holte mit Platz 3 in der Oberliga das beste Ergebnis aller Zeiten! Das ist beispielgebend für das ganze Bundesland. Die Leistungen des Rot-Weißen Fundaments sind aber auch überlebenswichtig für einen Verein, der sich mangels großer Finanzausstattung aus diesem Reservoir künftig mehr als zuvor speisen will und muss.

Von unserer Profiabteilung, die durch fünf Jungs aus dem eigenen Nachwuchs bereichert worden ist, wird diesmal nicht mehr und nicht weniger erwartet, als dass die Frischzellenkur und ein ordentliches Abschneiden Hand in Hand gehen. Ein Saisonziel ist zwar bisher vom Präsidenten noch nicht ausgegeben worden, aber es dürfte dem vormaligen nicht unähnlich sein: Einstelliger Tabellenplatz und Qualifikation für den DFB Pokal.

Von entscheidender Bedeutung hierfür wird sein, wie weit die Integration der von außen gekommenen Spieler, die Pflege und Einbeziehung der eigenen Jugend und nicht zuletzt auch die Verfeinerung von Taktik und Einstellung in der Vorbereitung vorangekommen sind.

Die "Neuen", um mit ihnen zu beginnen, machen durch die Bank einen bislang recht ordentlichen Eindruck, wenngleich in Zukunft noch mehr erwartet wird. Tunjic und Öztürk müssen nicht notwendigerweise die Torjägerkrone anpeilen. Es reicht, wenn sie die "wichtigen Treffer" machen. Gleiches gilt für Morabit, über dessen Verweilen am Steigerwald sich alle freuen. Cichos kommt nach dem Ausfall von Ströhl wie gerufen. Er könnte aber noch eine Spur spritziger werden. Ebenso wie Fillinger, der schon von seiner Erfahrung her eine Bereicherung sein sollte, vorausgesetzt er ist wieder ganz gesund. Zuletzt entstanden leichte Zweifel in dieser Hinsicht, die sich hoffentlich bald zerschlagen werden. Bei Strangl bin ich auch guter Hoffnung, wenngleich er kräftemäßig noch etwas beipacken könnte. Wer von denen, die sonst noch vorgespielt haben, bleiben darf,....auch darauf bin ich noch sehr gespannt.

Die aufgerückte Boy-Group aus dem eigenen Nachwuchs gedieh bislang unter Christian Preußer und Norman Loose wie im Treibhaus. Das Talent der Jungs bedarf aber "bei den Großen" der weiteren Pflege, des Zuspruchs und des Vertrauens von außen, um erfolgreich auch im neuen Umfeld wirken zu können. Denn die Burschen wollen und werden angreifen. Ihr legitimer Partizipations-anspruch ist diesmal ungleich größer, als noch in der Rückrunde der alten Spielzeit. Patrick Göbel hatte zum Trainingsauftakt mit die besten Werte beim Laktattest und spielte z.B. gegen Bayern Hof eine prima Partie. Kevin Möhwald hat das feine Füßchen und die Körpersprache eines Regisseurs. Tobias Ahrens ist unglaublich schnell. Nur Maik Baumgarten (zuletzt angeschlagen) und Philipp Klewin (zwei gute Keeper vor der Nase) werden etwas mehr Geduld mitbringen müssen. Die jungen Adepten wollen und müssen jetzt in höchst aufmerksamer Weise angeleitet, ihre Kunst in Bahnen gelenkt und ihre Vorzüge durch Nominierung anerkannt werden. Andernfalls, so eine oftmalige Beobachtung von mir in vielen anderen Vereinen, bringt das Können der "jungen Wilden" es kaum zu Jahren. Hier könnte sich Rudi Zedi, der nunmehr zur Entourage des Trainers gehört, mit seiner Erfahrung und seinem Rat verdient machen. Auch auf Marco Engelhardt und den neuen Kapitän Nils Pfingsten-Reddig kommt in dieser Hinsicht mehr Verantwortung zu, als in der letzten Halbserie. Sie werden voranmarschieren, führen, mitreißen und Zeichen setzen müssen.

Schließlich das Thema Taktik. Wir brauchen im Unterschied zur Vorsaison zuförderst Lösungen für tief stehende, massierte Abwehrreihen, vor allem bei Heimspielen, wenn uns die Mauerstrategen besuchen kommen. Die EM hat uns hier Anschauungsunterricht gegeben. Die Jungs müssen zwar nicht gleich Tiki-Taka tanzen und die hohe Ballbesitzquote und die geflochtenen Passnetze der Spanier erreichen. Aber da und dort ein Tempowechsel, oder ein, wenn auch nur temporärer aber pfiffiger Systemwechsel mal während einer laufenden Begegnung, das würde sich schon auszahlen. Die Fragen, die ein Gegner heutzutage aufwirft, lassen sich nämlich nicht immer mit 4-4-2 beantworten. Sie erfordern ein Nachdenken über mehr Variabilität. 4-2-3-1 oder 4-1-4-1 oder 4-1-3-2 Verschiebungen, ja selbst das italienische 3-5-2 kann in gegebener Lage einen überdenkenswerten Vorteil bringen. Nicht nur bei der EM, sondern auch in der 3. deutschen Liga. Die Spieler dazu hätten wir. Auch unter den jungen Kickern, wo Möhwald eine echte "10" darstellt und auf dieser Position die größte Wirkung entfaltet. Nur war bisher für eine "10" kein Platz im System. Ich bin sehr gespannt wie und vor allem wo gerade er am Ende eingebunden wird. Aber ich habe Hoffnung und Vertrauen. Denn die Verantwortlichen arbeiten daran. Der Trainer weiß auch, dass die Zeit starrer Programmatik im taktischen Bereich vorbei ist. Alles zu ausrechenbar! Es gilt nach meiner Ansicht: Nicht "das" System an sich gewinnt, sondern seine Veränderbarkeit und Interpretation im gegebenen, konkreten Moment. Die eigene Grundausrichtung ständig und geschmeidig variieren zu können, das ist stilbildend. Die eigentliche Finesse des Spiels liegt schließlich darin, die formbildenden Kräfte mit einer solchen Idee zu ummanteln und die Spieler darin zu binden - ihre Wege zu "automatisieren", wie man so schön sagt.

Ich hoffe es gelingt dem Spiel unserer Mannschaft solch einen neuen Reiz zu verleihen und den ausführenden Interpreten den dafür notwendigen Sporn zu geben. In einigen Testspielen habe ich schon hoffnungsvolle Ansätze erkennen können.

Und nun freue ich mich auf die neue Serie, hoffe auf eine gute Saison. Die letzten beiden Spielzeiten - von der "Optik" her anständig, aber ohne Ertrag - werden uns hoffentlich dabei nicht wie ein Menetekel anhängen. Im Übrigen möchte ich nicht behaupten, die Nr.1 im Freistaat sei diesmal in der Lage den Traum von der Rückkehr in die 2. Liga zu entstauben. Nachdem ich nämlich zuletzt auch mehrere Blicke auf die Konkurrenz habe werfen können, denke ich derzeit eher, wir laufen im oberen Mittelfeld ein.

Aber jetzt wollen wir erstmal den Start genießen, mit Dortmund, Wiesbaden, West Ham, Heidenheim und Halle. Danach wissen wir schon wieder mehr.

Eine spannende Saison wünscht Ihnen

Wilfried Mohren

16.07.2012 \ Mohrens Einwurf