​Anhänger des stoischen Ideals der Ataraxie sind beim FC Rot-Weiß Erfurt in diesen Tagen klar im Vorteil. Die Zeiten sind nämlich durchaus turbulent. Nachdem der Saisonauftakt völlig misslang, musste vor einer Woche Stefan Emmerling gehen und es erschien jemand auf der Bühne, der nicht nur für den eigenen Anhang, sondern für die Branche an sich so etwas wie eine kleine Sensation darstellte. Kein Übungsleiter im gesamten Profifußball ist schließlich so jung an Jahren wie Christian Preußer (28).

Bisher war er es gewohnt mit der A-Jugend des FC Rot-Weiß vor einer Handvoll Zuschauern auf irgendeinem Nebenplatz, unbeobachtet und fernab größeren Interesses, seine Wirkung zu entfalten. Nach Emmerlings Entlassung wurde er interimistisch von jetzt auf nun in das Scheinwerferlicht der 3. Liga befördert und demonstrierte gestern schon zum zweiten Mal in dieser Woche, dass er es auch bei den "Großen" kann. Dem Punktgewinn zum Einstand unter der Woche vor 13500 Zuschauern am Aachener Tivoli folgte nun unter seiner Leitung auch der erste Saisonsieg. Ein 5-0 gegen Dortmund. So hoch gewann Rot-Weiß zuletzt im Februar 2008 gegen die Zweite des VfL Wolfsburg.

Der "Frischling" schraubte dafür ein wenig an Taktik und personeller Grundausrichtung, löste im Verbund mit Henri Fuchs und Rudi Zedi dazu noch einige mentale Blockaden und schon spielte die Mannschaft einen anderen Fußball. Leidenschaftlich, einsatzfreudig, laufstark! Ja selbst die hohen ästhetischen Ansprüche des Erfurter Publikums wurden streckenweise sogar eingelöst. Plutarch soll über Cäsar einmal gesagt haben: "Venit, vidit, vicit" (Er kam, sah und siegte). Das könnte man - zugegeben etwas pathetisch formuliert - auch von Preußer so behaupten.

Der junge Mann ist frisch, unverbraucht, selbstbewusst, authentisch und er weiß wie Fußball funktioniert. Er weiß sogar wie man darüber spricht, ohne in flache Floskeln zu verfallen, oder der Wahrheit gar selbstdienlichen Zwang anzutun. Er ist ehrlich, unprätentiös und mag nicht gerne den Pfauen spielen. Er ist im Grunde das passende Pendant zu den vielen Eleven auf dem Rasen, deren Sprache er spricht und von denen er einige in der Jugend selbst hat formen können. Gleichwohl kann er auch mit den erfahrenen Spielern, obwohl die in ihrer aktiven Laufbahn erfolgreicher sind, als er es je war. Aber laufen nicht inzwischen schon dutzende Trainer herum, die das Spiel besser vermitteln, als sie es früher selbst haben betreiben können?

Eines der Grundprinzipien von Preußers Arbeit ist übrigens die Disziplin. Wie könnte es auch anders sein, wenn man - nomen est omen - aus Berlin kommt und Preußer heißt. Seine (preußischen) Disziplinanforderungen an die Mannschaft hat er den Spielern gleich zu Beginn erklärt.

Aus all diesen Gründen hatten sich Präsident Rombach, sein Vize Detlef Goss und Torsten Traub in der Not des vergangenen Wochenendes einstweilen richtigerweise für ihn entschieden. Nun aber, da 2 Wochen Ligapause anstehen, stellt sich die Frage, ob Preußer weitermachen, oder besser doch durch einen erfahrenen Mann ersetzt werden sollte. Rolf Rombachs Blick und Ton lassen bisher öffentlich fraglich, was passieren wird. Er weiß, dass die Entscheidung nicht leicht ist. Preußer hat ordentlich gearbeitet. Aber auch er wird, wenn er weiter macht, Spiele verlieren. Und was passiert dann? Wenn er jetzt abtritt und zur A-Jugend zurückkehrt, kann er allen als Gewinner in Erinnerung bleiben und als Trumpfkarte in der Hinterhand des Präsidenten verweilen, um in Zukunft - unbeschädigt - ein Comeback zu feiern. Wichtig wird sein, was Christian Preußer selbst dazu sagt? Will er überhaupt weitermachen? Darüber wird man reden müssen. Auch mit und über die zahlreichen Bewerber von außen. Da sind ein paar wirklich gute und renommierte Leute dabei. Jedenfalls haben in ersten Gesprächen einige - persönlich wie fachlich - schon sehr beeindruckt.

Der Präsident wird der Situation angemessen und mit strategischem Blick entscheiden. Das hat er schon am vergangenen Wochenende getan, als er fühlte, dass die Mannschaft sich in einer Sackgasse verlaufen hatte. Ein Gefühl, das auch viele Anhänger des Vereins hatten und das nicht zuletzt der Aufsichtsrat so teilte. Zahlreiche Hintergrundgespräche haben gezeigt, dass es richtig war, sich von Stefan Emmerling zu trennen, obwohl viele Leute Rolf Rombach, Detlef Goss und der sportlichen Leitung deswegen die Ohren Sturm wetterten. Nur, was sollte die Vereinsführung darauf sagen? Dass die Punkte fehlten? Das hat jeder gesehen! Das da dies und jenes auch noch war, was nicht oder nicht mehr passte? Das tut man nicht "en detail". Nein, manche Dinge kartet man nicht öffentlich nach. Und Rombach oder Goss schon gar nicht. Auch wenn es deprimierend war zu hören und zu sehen, was da und dort manch einem Kritiker aus der Psyche brach. Das Gefühl für Anstand und Maßstab ging dabei zeitweise schlicht völlig verloren.

Wie auch immer nun der Mann auf der Trainerbank demnächst heißen wird, er muss mit dem derzeitigen Kader wohl auskommen. Das Transferfenster ist geschlossen und für den FC Rot-Weiß war entweder nicht der passende Akteur im Angebot, oder aber, wie im Falle von Tobias Jänicke, war Dynamo Dresden für den Spieler am Ende einfach die reizvollere Variante. Es verbleibt somit für den Herbst nur der "Markt" derzeit arbeitsloser Spieler - sofern der kommende Trainer überhaupt noch Personalwünsche hegt.

Erfreuliches zum Schluss: Die Fans waren sehr kreativ bei ihren Vorschlägen, wie ein neues Trikot des FC Rot-Weiß aussehen könnte. Der Verein wird sich jetzt damit beschäftigen und beim Fantalk in gut zwei Wochen den weiteren Hergang mit den Anhängern besprechen.

Eine gute Woche wünscht Ihnen allen
Wilfried Mohren

02.09.2012 \ Mohrens Einwurf